Geburt

Geburt: Ein Erfahrungsbericht aus der Sicht eines Vaters

Auf die Frage „Bist du bei der Geburt dabei?“ antworten nahezu alle Männer mit einem klaren „Ja“.

Auch wenn sie im Endeffekt keine oder zumindest wenig Ahnung haben, was das wirklich bedeutet. Da spreche ich als Vater von drei Kindern aus eigener Erfahrung.

Ein „Nein“ kam mir überhaupt nicht in den Sinn. Aus meinem eigenen Umfeld ist mir auch kein Vater bekannt, der auf diese Frage mit einem „Nein“ geantwortet hat.

Es scheint sogar so, dass praktisch gar nicht wirklich in Frage kommen darf, dass man als angehender Vater bei der Geburt des eigenen Kindes nicht dabei ist. Das ist doch keine Frage!

Heute, nach drei hautnah erlebten Geburten und einigen Gesprächen mit anderen Vätern bin ich auch in dieser Hinsicht weiser: Wir Männer müssen uns dieser Frage stellen: Soll, will, kann ich bei der Geburt dabei sein?

Wir müssen diese Fragen mit unserer Partnerin offen besprechen können, denn es einfach nicht zu tun, birgt gewisse Risiken in sich.

Wir sind Schwanger!

Die Nachricht hat eingeschlagen wie eine Bombe. Ich konnte es kaum glauben, geschweige denn begreifen. In meiner Fantasie habe ich mir vorgestellt, wie das wohl sein wird, Papa zu sein.

Aber auch wie das Kind sein wird: Ein Junge oder ein Mädchen? Ach egal, Hauptsache es geht alles gut. Was auch immer man als Mann alles tun kann um sich selber vorzubereiten, für das Kind bereitzustellen und die Frau zu entlasten, habe ich getan, es blieb aber ein eher abstraktes „Projekt“.

Das Kind durch den Bauch zu spüren ist wundervoll und unwirklich zugleich. Das wird mein Kind sein? Mein Kind?

Neun Monate vergingen wie im Flug. Zumindest für mich. Meine Frau zählte in den letzten Wochen die Stunden. Schliesslich waren alle Kurse besucht, alle wichtigen Vorbereitungsbücher gelesen, Namen ausgesucht. Das Baby kann kommen!

Es geht los

Trotz besuchter Geburtsvorbereitungskurse, anderer Info-Veranstaltungen und einigen gelesenen Büchern begegneten mir bei den drei miterlebten Geburten Dinge und Situationen, die ich so nie erwartet hätte.

Die ich mir auch in meinen kühnsten Träumen und Fantasien so nicht vorgestellt hätte! Das beginnt beispielsweise mit den Vorbereitungskursen: Da gibt es wirklich Kurse, deren Vorbereitung darin besteht, dass „Mann“ sich fühlen soll wie eine Frau.

Hallo, ich muss nicht gebären, ich muss meine Frau dabei unterstützen. Ich werde mich bei allen Bemühungen nie so fühlen wie eine gebärende Frau; da sind dem Einfühlungsvermögen leider gewisse Grenzen gesetzt. Ich würde gerne in so einem Kurs wie ein Mann behandelt werden…

Und was ist eigentlich mit der Vorbereitung von mir? Niemand hat mich auf meine Situation vorbereitet; z.B. wie hilflos ich (und viele andere Männer auch!) mich fühlen werde, wenn meine Frau unter Schmerzen leidet… Aber das ich da gewisse Informationen im Voraus gebraucht hätte, war nicht mal mir selber bewusst. – Es ist ja die Frau, die gebiert…

16 Stunden Wehen

Nach 14 Stunden miterlebter und mitgelittener Wehen auf einen Drehstuhl ohne Lehne bin ich am Ende meiner Kräfte. Ich erkenne: Ausser etwas gut zureden und Händchen halten, kann ich NICHTS tun.

Selbst die gut eingeübten und von der Hebamme empfohlenen Massagen helfen gar nichts. Meine Frau signalisiert: Lieber nicht auch noch eine Berührung. Am liebsten würde ich meiner Frau etwas abnehmen als einfach nur so hilflos und nutzlos dabei zu sitzen.

Aber ich kann ihr die Schmerzen nicht abnehmen. Mein (selbstauferlegter) Auftrag lautet: Meiner Frau alles Recht zu machen. Doch auch das ist nicht so einfach: Die Signale von ihr sind widersprüchlich: Einerseits scheint sie froh zu sein, dass ich da bin, andererseits merkt auch meine Frau wie wenig ich tun kann.

Sie schlägt sie vor, dass ich ruhig etwas rausgehen kann… Was ich am allerwenigsten will ist, dass ich auch noch zu einer Belastung werde!

Nach weiteren zwei Stunden: Während meine Frau sich vor Schmerzen krümmt und schreit, muss ich entscheiden, ob ich meine Unterschrift unter ein Dokument setze, dass ich damit einverstanden bin, dass meiner Frau eine Punktion gesetzt wird, bei der sie die grössten gesundheitlichen Schäden bis zu Querschnittslähmung erleiden kann.

Ich bin mit dieser Entscheidung etwas überfordert. In Anbetracht der nachlassenden Wirkung der herkömmlichen Schmerzmitte und, der immer stärker werdenden Schmerzen unterschreibe ich.

Kaiserschnitt

Ein Schichtwechsel im Morgengrauen zu erleben, welcher den Kaiserschnitt um weitere zwei Stunden verzögert, empfinde ich fast schon grotesk. Es ist beinahe lächerlich wie romantisch wir uns die Geburt im Voraus vorgestellt hatten, an jenem Info-Abend vor 8 Wochen: Das gezeigte Zimmer mit Luxusausstattung wirkte beinahe wohnlich.

Man könne die eigene Lieblingsmusik mitbringen, Kerzenschein wünschen… Leider war das beste Geburtszimmer besetzt, das „dritte Zimmer“ eine Enttäuschung. Die Schreie einer weiteren gebärenden Frau im „Luxuszimmer“ sind zu viel. Um keinen Preis hätte ich jetzt noch meine Lieblingsmusik hören wollen! Wenigstens kriegt das meine Frau nicht auch noch mit…

Eine natürlich Geburt, darauf war ich vorbereitet. Eine „natürliche Geburt“ (???) in einem farbig-fröhlichen Zimmer mit Kerzenschein und unserer Lieblings-CD…

In meiner Erschöpfung stelle ich mir zum ersten mal die Frage: Was erwartet mich im Operationssaal? Muss ich zusehen wie meiner Frau der Bauch aufgeschnitten wird? Dabei kann ich doch kein Blut sehen. Keiner klärt mich auf, was da auf mich zukommt.

Dazu ist jetzt plötzlich keine Zeit mehr. Plötzlich wird alles hektisch – Routineabläufe. Nicht für mich! Nachdem ich mich bis auf die Unterhosen ausziehen und einen grünen Kittel anziehen muss um in den kahlen, kalten Operationssaal zu dürfen, warte ich wieder auf einem Drehstuhl (ohne Lehne) in der Ecke sitzend darauf, was passieren wird.

Muss ich jetzt dabei zusehen oder nicht? Was ist wenn ich ohnmächtig werde? Viele Fragen, keine Antworten, keine Anweisungen, dafür grosse Unsicherheit und Nervosität. Ich rutschte auf dem Stuhl aufgeregt hin und her. So lange bis ich an irgendetwas, das an der Wand angelehnt war, stosse und ein mittleres Erdbeben auslöse.

Die Blicke aller im Operationssaal sind auf einmal auf mich gerichtet und strahlen keine grosse Freude aus. Nein, der werdende Vater ist nicht ohnmächtig geworden, er hat nur etwas umgestossen.

Das Baby ist da

Danach geht alles recht schnell. Ich muss doch nicht zusehen wie der Bauch meiner Frau aufgeschnitten wird. Es ist alles durch einen Vorhang abgedeckt. Ich werde nicht ohnmächtig und kann kurz darauf in einem Nebenraum erschöpft aber glücklich unser Kind willkommen heissen.

Ende gut alles gut, könnte man jetzt sagen. Doch einiges was ich da erleben durfte, hätte ich gerne vorher gewusst.. 

Und wieder geht’s los

Bei der zweiten Geburt war ich natürlich auch dabei. Schliesslich hatte ich Erfahrungen gesammelt und dachte mir: Was kann da jetzt noch kommen?

Doch ich wurde eines Besseren belehrt: Als die Wehen in regelmässigen Abständen kamen, gingen wir ins Krankenhaus. Dort angekommen, haben wir uns im Kreissaal eingerichtet. Diesmal ein schönes, freundliches Zimmer mit Bett, Badewanne, Seile, die von der Decke hängen. Alles was man für die Geburt so braucht.

Hächeln und leiden ohne Wehen

Jetzt überspringe ich ein paar Stunden und finde mich hinter meiner Frau sitzend und mithächelnd wieder. Sie schreit, ich versuche sie zu stützen, atme genau so schnell wie sie – das soll helfen.

Bin total nassgeschwitzt und durch den Kopf gehen mir folgende Gedanken: Einen Kaiserschnitt hast du zwar mitgemacht, aber das hier ist noch einmal etwas anderes. Das ist Knochenarbeit, nicht nur für die Frau, die ich wirklich nicht beneide sondern auch für mich.

Auch jetzt erlebe ich wieder diese Hilflosigkeit: Ich würde ja gerne helfen, aber wie? Was kann ich tun ausser mitleiden, mithächeln und halten. Und auch erst jetzt, kurz vor dem entscheidenden Moment fällt sie mir ein, die wichtigste aller Fragen: Will bzw. kann ich es überhaupt sehen, wenn das Kind auf die Welt kommt.

Was ist, wenn der Damm geschnitten werden muss? Und will meine Frau überhaupt, dass ich das alles sehe? Ich entscheide mich hinter meiner Frau sitzen zu bleiben, sie zu stützen, mit ihr zu leiden und nicht alles so akribisch genau zu beobachten.

Alles gesund, ein Wunder

Das Baby kommt gesund und ohne grössere Komplikationen zur Welt. Als mich dann die strahlende Hebamme fragt: „möchten sie die Nabelschnur durchscheiden?“ lehne ich mit den Worten: „Machen Sie das ruhig, Sie sind der Profi“ dankend ab.

Die Vorstellung, die Nabelschnur zu durchschneiden, löst bei mir nicht die von der Hebamme erwartete glücklich machende Reaktion aus. Ich ernte einen leichten unverständlichen Blick. Dann aber, als unser Kind endlich auf der Brust meiner Frau liegt, fühlt sich das unglaublich an.

Ein Wunder ist geschehen und das Geschehene ist vergessen. Das hat Mutter Natur gut eingerichtet.

Fazit

Ich weiss nicht, ob es überhaupt möglich ist, werdende Eltern auf die Geburt so vorzubereiten, dass keine grossen Überraschungen auf sie zukommen. Für meinen Teil hätte ich mir doch gewünscht, mehr zu wissen, was da alles auf uns zukommen kann.

Oder von anderen Männern gehört, wie Mann sich dabei fühlen kann. Heute bin ich froh, dass meine Frau und ich uns schliesslich auch erlaubten, darüber zu sprechen, ob und bei was genau ich dabei sein soll.

Es gab eine Zeit, da durften Männer nicht dabei sein, sie mussten vor verschlossener Türe auf den erlösenden Schrei des Babys horchen. Es ist gut, dass wir Väter heute von Anfang an dabei sind.

Doch es sollte auch nicht zu einer allgemeinen Verpflichtung werden im Sinne von: Ein Vater ist nur dann ein guter oder richtiger Vater, wenn er dabei ist, oder wenn ER die Nabelschnur seines Kindes durchschneidet…

 Jedes Paar soll für sich frei entscheiden dürfen. Erstaunlicherweise bestätigen Hebammen, dass viele Kinder gerade dann auf die Welt kommen, als der angehende Papa mal kurz auf die Toilette musste…

 Ihr

Peter Michalik


Foto:
© Markus Bormann – Fotolia.com

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